Es ist das erklärte Ziel der Europäischen Union, eine Europäische Wirtschaft zu entwickeln, die intelligent, nachhaltig und integrativ ist – d.h. eine Wirtschaft, die Europa zu einem Ort macht, an dem man gern lebt und arbeitet. Da die Dienstleistungswirtschaft in der EU bereits mehr als 70 % zur Wirtschaftsleistung und zur Beschäftigung beiträgt, wird die Dienstleistungswirtschaft hierbei unweigerlich eine Schlüsselrolle einnehmen. Dessen ungeachtet verfügt jedoch die Europäische Union derzeit über keinerlei klare Strategie, um die Dienstleistungswirtschaft auf diese Herausforderung vorzubereiten.
Mit dem Dienstleistungsmanifest hat UNI Europa einen ersten Schritt hin zur Erarbeitung einer dringend benötigten, umfassenden EU-Dienstleistungspolitik für Arbeitsplätze, Wettbewerbsfähigkeit und Lebensqualität in Europa getan. Um diese Agenda in den kommenden Jahren fortzuführen und weiter auszuarbeiten, wird UNI Europa Gewerkschafter, politische Entscheidungsträger und Forscher zusammenbringen, damit eine Strategie entwickelt werden kann, mit deren Hilfe das Potential der europäischen Dienstleistungswirtschaft für Wettbewerbsfähigkeit und Lebensqualität in Europa umfassend genutzt werden kann.
Der Ausgangspunkt unserer Arbeit ist die Einsicht, dass Europa Folgendes braucht:
- einen neuen Ansatz für die politischen Steuerung der Dienstleistungswirtschaft
- gute Arbeitsplätze für gute Dienstleistungen
- eine starke Dienstleistungswirtschaft, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern
- qualitativ hochwertige Arbeitsplätze für Lebensqualität.
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Europa benötigt einen neuen politischen Ansatz im Dienstleistungsbereich
Bis zum heutigen Tage hat die Europäische Union keine kohärente Strategie für die europäische Dienstleistungswirtschaft entwickelt. In der Tat zeigen die politischen Entscheidungsträger in der EU wenig Ehrgeiz, eine langfristige positive Entwicklung des größten Sektors unserer Wirtschaft zu unterstützen. UNI Europa ist zutiefst enttäuscht über diesen Mangel an Ehrgeiz. Wir sind überzeugt, dass Integration auf Grundlage einer klaren Strategie für den Dienstleistungssektor Arbeitsbedingungen verbessern, und der Wettbewerbsfähigkeit sowie Lebensqualität in Europa Auftrieb verleihen kann.
Das wichtigste Projekt der Europäischen Union für unsere Branche ist natürlich der Aufbau des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen. Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, wie dieses Projekt einen echten Gewinn für die europäische Dienstleistungswirtschaft, d.h. für Arbeitnehmer, Unternehmen und Verbraucher, bedeuten könnte. Man stelle sich nur einen Binnenmarkt vor, der konsequent reguliert wird, um hohe Standards bei der Dienstleistungsqualität und um einen fairen Wettbewerb zu wahren. In einem solchen Markt würden die Unternehmen dazu ermutigt, innovativ zu sein und sich zu spezialisieren, um produktiver zu werden, d.h., besser zu werden in dem, was sie machen – und nicht nur größer. Ein derartiger Binnenmarkt würde auch für die europäischen Dienstleistungsbeschäftigten einen echten Gewinn bedeuten: Unternehmen sind auf loyale, qualifizierte und motivierte Mitarbeiter angewiesen, um in Hinblick auf Innovation und Qualität führend zu werden – und dies ist ein gewichtiger Grund für die Unternehmen, in qualitativ hochwertige Arbeitsplätze zu investieren.
Der im Laufe der vergangenen 20 Jahre aufgebaute Binnenmarkt unterscheidet sich allerdings erheblich von dieser Vorstellung. Er ist das Produkt eines wenig systematischen Vorgehens, gekennzeichnet von ziellosen Deregulierungs-, Privatisierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen. Das Ergebnis ist ein Flickenteppich voller Schlupflöcher, Grauzonen und falscher Anreize. Infolgedessen sind betrügerische Geschäftspraktiken, Sozialdumping und die Herausbildung von Oligopolen weitverbreitete Phänomene in der europäischen Dienstleistungswirtschaft. All diese Probleme wirken sich negativ auf die Qualität der Dienstleistungen und der Beschäftigung im Dienstleistungssektor aus.
Uns reicht es! Wir fordern, dass die Europäische Union eine ehrgeizigere und kohärente Strategie für die Dienstleistungswirtschaft entwickelt, auch hinsichtlich der politischen Steuerung des Binnenmarktes für Dienstleistungen. Das UNI Europa-Dienstleistungsmanifest stellt einen ersten, entscheidenden Schritt in diese Richtung dar. Wir, UNI Europa, möchten uns in den kommenden Jahren an einer konstruktiver Debatte beteiligen, um gangbare Vorschläge für eine langfristige EU-Dienstleistungspolitik zu entwickeln, die sicherstellt, dass unsere Branche Lebensqualität und Wettbewerbsfähigkeit in Europa befördert – jetzt und in Zukunft.
Europa braucht qualitativ hochwertige Arbeitsplätze für qualitativ hochwertige Dienstleistungen
Im Dezember 2013 lag die Arbeitslosenquote in der EU der 28 bei 10,7 %, in den am schlimmsten betroffenen Ländern verharrt diese Quote jenseits der 25 % Marke. Doch auch vor dem Einsetzen der Krise entstanden durch das Beschäftigungswachstum in Europa häufig Arbeitsplätze, die man hinsichtlich der Löhne, Arbeitsplatzsicherheit und des Arbeitsschutzes als prekär beschreiben kann. Viele Bereiche der europäischen Dienstleistungswirtschaft sind von dieser Entwicklung besonders stark betroffen. Bis Ende 2013 hatte dies zu einer Situation geführt, in der 123 Millionen (!) Europäer in den Augen der Europäischen Kommission als ‚von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht‘ galten.
Gleichzeitig erreichten Vorstandsvergütungen und Einkommen aus Kapitalerträgen neue, bisher ungekannte Höhen. Die Folge ist eine soziale Ungleichheit dramatischen Ausmaßes. Eine soziale Kernschmelze und ein Rückfall in die Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts werden unter diesen Bedingungen zur realen Gefahr. Um diesem Trend entgegenzuwirken und ihr Bekenntnis zu einem inklusiven europäischen Sozialmodell zu bekräftigen muss sich die Europäische Union darauf konzentrieren, dauerhafte, sichere, qualifizierte und gutbezahlte Beschäftigung– qualitativ hochwertige Arbeitsplätze – zu schaffen.
In einer Situation, in der mehr und bessere Arbeitsplätze benötigt werden, kann es sich die Europäische Union nicht leisten, die Dienstleistungswirtschaft zu übergehen. Macht man sich bewusst, dass diese Branche bereits mehr als 70 % sowohl zur Beschäftigung als auch zur Wirtschaftsleistung in der EU beiträgt, so wird klar, dass der Dienstleistungssektor das größte Potential für die Schaffung qualitativ hochwertiger Beschäftigung birgt.
Die Notwendigkeit der Schaffung qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor, unter anderem durch zielgerichtete Maßnahmen zur Förderung von Qualifikation, Sicherheit am Arbeitsplatz und Mitbestimmung, erscheint umso zwingender, wenn man das entscheidendste Merkmal von Dienstleistungen erkennt: Aufgrund der hohen Arbeitsintensität von Dienstleistungen sind Qualität, Innovationskraft und Produktivität im Dienstleistungssektor abhängig von qualifizierten Mitarbeitern, die unter guten Bedingungen arbeiten. Anders ausgedrückt, zielgerichtete Maßnahmen für qualitativ hochwertige Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich führen zu einem positiven Rückkopplungseffekt und damit zu einer verbesserten Qualität der so erbrachten Dienstleistungen. Die Nutzung dieses positiven Rückkopplungseffektes in der Praxis macht sich daher in zweierlei Hinsicht bezahlt, für jene, die im Dienstleistungssektor arbeiten, und für jene, die die so erbrachten Dienstleistungen nutzen.
Dienstleistungen für Wettbewerbsfähigkeit
Wir, UNI Europa, haben stets betont, dass wir uns vehement einer Abwärtsspirale bei Löhnen, Steuern und bei der Regulierung entgegenstellen, die einige europäische Politiker in Gang setzen wollen, um sich größere Anteile an den globalen Märkten einzuverleiben.
Doch soweit muss Europa nicht gehen, um wirtschaftlich führend zu bleiben. Das Beispiel etwa der nordischen Ländern oder Deutschlands zeigt, wie sich entwickelte Volkswirtschaften Wettbewerbsvorteile bewahren können, indem sie hochspezialisierte, innovative Waren und Dienstleistungen von herausragender Qualität liefern. Da gut ausgebildete Beschäftigte und eine wissensintensive Wirtschaft Stärken sind, auf die Europa bauen kann, ist dies eindeutig die Richtung, die die EU einschlagen sollte. Nicht zuletzt natürlich, weil eine solche Vorgehensweise im Einklang steht mit menschenwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen in der EU.
Unsere Dienstleistungsindustrie ist in der Lage, einen maßgeblichen Beitrag zu einem solchen qualitäts- und innovationsorientierten europäischen Modell für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu leisten. Unsere Branche hat das Potential, zum Champion im Bereich der Qualität und Innovationskraft aufzusteigen – das heißt: wenn die Arbeitsbedingungen derjenigen, die im Dienstleistungsbereich tätig sind, mit diesem Ziel in Einklang gebracht werden. Da Dienstleistungen überaus arbeitsintensiv sind, sind Innovationskraft und Qualität im Dienstleistungssektor das Resultat leistungsfähiger Mitarbeiter, die unter guten Arbeitsbedingungen arbeiten. Mit anderen Worten: Maßnahmen, die darauf abzielen, die Qualität der Dienstleistungen zu verbessern, müssen bei der Verbesserung der Qualität der Beschäftigung im Dienstleistungssektor ansetzen. Wir – als UNI Europa – sehen hier einen positiven Rückkopplungseffekt: qualitativ hochwertige Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich führen zu qualitativ hochwertigen Dienstleistungen.
Eine starke Dienstleistungsindustrie ist gleichzeitig eine entscheidende Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit anderer Sektoren. Daher wird die gesamte EU-Wirtschaft die Früchte dieses positiven Rückkopplungseffektes zwischen guter Arbeit und guten Dienstleistungen ernten. Man nehme zum Beispiel das produzierende Gewerbe: Um die komplexen Waren herzustellen, die sich auf den Weltmärkten von der Masse abheben, sind europäische Produzenten von spezialisierter Zuarbeit aus Bereichen wie Design-, IKT- oder Logistikdienstleistungen abhängig. Will Europa erfolgreich sein produzierendes Gewerbe stärken, dann führt kein Weg vorbei am Aufbau einer innovativen Dienstleistungsindustrie, die Dienstleistungen von herausragender Qualität liefert.
Dienstleistungen für Lebensqualität
Eine hohe Lebensqualität in Europa ohne qualitativ hochwertige Dienstleistungen ist undenkbar. Man stelle sich ein Europa vor ohne Supermärkte und Geschäfte, in denen wir die Waren kaufen, die wir tagtäglich benötigen. Man stelle sich vor, wie der eigene Arbeitsplatz oder die Schule aussehen würde ohne die Arbeit fleißiger Reinigungskräfte. Wer würde Ihre Zahlungen und Sparguthaben verwalten, wenn sich kein Bankangestellter darum kümmert? Manche Dienstleistungen sind von entscheidender Bedeutung, um von den technologischen Fortschritten profitieren zu können, die unser aller Leben ein wenig leichter machen, wie etwa die des Postzustellers, der Ihnen Ihre Online-Einkäufe bis an die Haustür bringt. Andere Dienstleistungen sind schlichtweg erforderlich, um unsere Gesellschaft an neue Realitäten anzupassen, z.B. Pflegedienste, die uns dabei helfen, die Auswirkungen des demographischen Wandels abzufedern.
Kurzum, es ist unschwer zu erkennen, in welchem Ausmaß wir von Dienstleistungen abhängig sind, um unser Leben so führen zu können, wie wir es gewohnt sind. Dabei nehmen wir die Verfügbarkeit vieler Dienstleistungen oftmals als derart selbstverständlich hin, dass wir sie nur dann bemerken, wenn sie nicht so funktionieren, wie wir es von ihnen erwarten. Sicherzustellen, dass die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die für eine hohe Qualität dieser Dienstleistungen förderlich sind, ist eine maßgebliche Aufgabe für eine Europäische Union, der das Leben ihrer Bürger am Herzen liegt.
Es bedarf einer europäischen Strategie, um sicherzustellen, dass das gesamte Potential der europäischen Dienstleistungsindustrie für Lebensqualität in Europa ausgeschöpft wird. In erster Linie bedeutet dies, dass eine EU-Dienstleistungspolitik erarbeitet werden muss, die sich die positive Wechselwirkung zwischen der Qualität der Beschäftigung im Dienstleistungsbereich und der Qualität der erbrachten Dienstleistungen zunutze macht. Die Erkenntnis dieses positiven Rückkopplungseffektes und entsprechendes Handeln werden es ermöglichen, dass eine solche EU-Dienstleistungspolitik sowohl die Lebens- als auch die Arbeitsbedingungen in Europa verbessert.