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Parlament erklärt Kommission: Postliberalisierung funktioniert nicht
Hunderte Postbeschäftigte demonstrierten diese Woche in Straßburg vor dem Europäischen Parlament um ein Ende dieser destruktiven Postmarktliberalisierung zu fordern. An der Demonstration nahmen auch mehrere ArbeitnehmerInnen teil, die ihren Arbeitsplatz bereits verloren haben oder deren Arbeitsbedingungen sich drastisch durch die Postmarktliberalisierung verschlechterten. Sie erklärten öffentlich: „Liberalisierung hat uns keine bessere Qualität geliefert, tatsächlich wurde die Dienstleistung viel viel schlechter!“ UNI Europa Post&Logistik Global Union fordert ein Moratorium der Liberalisierung bis alle Probleme von ArbeitnehmerInnen erkannt und von den Abgeordenten zum Europäischen Parlament aufgegriffen wurden.
Zahlreiche Abgeordente zum Europäischen Parlament, an der Spitze der niederländische Abgeordente Denis de Jong von der GUE/NGL Fraktion sowie der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion Belgiens Said El Khadraoui hielten Ansprachen im Rahmen der Demonstration und versicherten ihre Unterstützung für die Forderung von UNI Europa Post&Logistik nach einem Moratorium der Liberalisierung des europäischen Postsektors. Die Abgeordnete des Europäischen Parlamentes, Jutta Steinruck (SPD) erklärte: "Es ist Aufgabe der EU-Kommission, die Menschen in der Europäischen Union vor Sozialdumping zu schützen und die Arbeitsstandards aufrechtzuerhalten".
Im Rahmen der Veranstaltung berichteten ArbeiterInnen wie ihre Jobs zerstört und durch prekäre Beschäftigte ersetzt wurden. Teilzeit Beschäftigte und „Stücklohn“-ArbeiterInnen wurden die Norm in Postdienstleistungsbetrieben. Dies führte zu einem massiven Qualitätsverlust der Dienstleistungen mit Problemen bei der Sendungssicherheit und Auslieferzeiten im Briefsektor.
Die Abgeordenten zum Europäischen Parlament erklärten es sei unakzeptabel, dass die Europäische Kommission dem Parlament Innovation und Qualitätsverbessung nach der Öffnung des Postsektors versprach und genau das Gegenteil ist eingetroffen.
Ebenfalls bei der Demonstration zu Wort meldete sich Oliver Röthig von UNI Finanz und riet den ArbeitnehmerInnen ihren Kampf für ein Moratorium nicht aufzugeben. Eine der Hauptgründe warum sich ArbeitnehmerInnen im Finanzsektor in dieser schrecklichen Beschäftigungssituation wiederfänden, sei aufgrund der schwachen und mangelhaften Regulierung. Er meinte weiter, es sei wichtig, dass ArbeiterInnen aus allen Sektoren gemeinsam für eine korrekte und ausreichende Regulierung arbeiten, um gute Jobs garantieren zu können. Christy Hoffman, stellvertretende Generalsekretärin von UNI erklärte, ihre Heimat, die USA sei das Heimatland der Liberalisierung aber dort hatte man beschlossen den Postsektor nicht zu liberalisieren. Man erkannte dort, dass neue globale Postdienstleister wie UPS und FedEx keine Netzwerke zur Bereitstellung von Postdienstleistungen in ländlichen, isolierten oder armen Gebieten aufbauen werden. Sie erklärte weiter, dass viele andere große industrialisierte Länder im Gegensatz zu Europa die Idee die Postdienstleistungen zu liberalisieren nicht teilen, da dies zum Scheitern veruteilt ist.
Im Anschluss an die Demonstration hatte eine Delegation von UNI Europa Post&Logistik die Möglichkeit im Parlament mit Abgeordenten aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen politischen Gruppen zu diskutieren. Dabei war das Treffen in 2 Teile geteilt. Im ersten hörten die Abgeordenten die Erfahrungsberichte und tatsächlichen Folgen der Postliberalisierung von den GewerkschafterInnen und ArbeiterInnen, im 2. Teil war es an ihnen im demokratischen Rahmen und mit ihren Möglichkeiten Vorschläge zur Lösung zu präsentieren. Gemeinsam wurde die Plenarsitzung am nächsten Tag mit einer mündlichen Anfrage zur Postliberalisierung an Kommissar Michel Barnier besprochen und vorbereitet.
Am nächsten Tag im Parlament wurde eine mündliche Anfrage dazu an die Kommission durch Brian Simpson, Vorsitzender der Ausschusses für Verkehr von der S&D Fraktion aus Großbritannien eingebracht. Diese wurde von beinahe allen im Europäischen Parlament vertretenen Gruppen unterstützt. Die Anfrage an Kommissar Michel Barnier forderte Antworten hinsichtlich der Themen und Befürchtungen, welche die Postbeschäftigten am Vortag bei der Demonstration aufgeworfen hatten. Zentral in den Bedenken der Abgeordenten war, wie die Kommission diese Veränderungen der sozialen Bedingungen und deren Auswirkungen für die Postbeschäftigten erfassen und das offensichtliche Sozialdumping in bereits liberalisierten Teilen des Postsektors stoppen will. Außerdem verlangten die Abgeordenten zum Europäischen Parlament einen Nachweis, dass die in der 3. Postdienstleistungsrichtlinie (das Gesetz welches die Postliberalisierung regeln sollte) enthaltene Klausel zur Wahrung von Sozialbedingungen umgesetzt und eingehalten wird. Sie bemerkten, dass bis zum heutigen Tag kein Beweis vorliege, dass die Kommission sicherstelle, dass diese Klausel umgesetzt würde.
Eine weitere Befürchtung, die von allen anwesenden Abgeordenten geteilt und von einigen artikuliert wurde, ist der fehlende Beweis, dass die Kommission den Schutz und Erhalt der Universaldienstverpflichtung sicher stelle. Zahlreiche Abgeordnete warfen in der Debatte dieses Thema mit der Befürchtung auf, die Kommission habe bisher rein gar nichts getan um den Mitgliedsstaaten zu helfen Universaldienste abzusichern und diese bereit zu stellen ohne auf hohe staatliche Subventionen zurück greifen zu müssen. Staatliche Subventionen sind nach unseren heutige Erfahrungen und in Zeiten der Krise in diesem ökonomischen Klima unsicher und langfristig nicht sicher, damit gleicht es einer Fantasie diesen Dienst damit abzusichern.
Im Rahmen der mündlichen Anfrage an die Europäische Kommission meldeten sich sämtliche politischen Gruppen von GUE/NGL, den Sozialdemokraten, den Grünen bis hin zu den Liberalen und Konservativen zu Wort und forderten Antworten von Kommissar Barnier. Der Antragssteller Brian Simpson sagte, dass die Aussagen und Berichte von Postbeschäftigten die ihm präsentiert wurden klar zeigen, dass die Kommission nicht ihre Aufgaben erfüllt habe Sozialdumping zu verhindern und Universaldienstleistungen zu leistbaren Preisen abzusichern. Denis de Jong berichtete dem Parlament von der Verwüstung des Postsektors und der Zerstörung tausender Arbeitsplätze in seiner Heimat den Niederlanden, wo die Liberalisierung bereits stattgefunden hat. Neue Marktteilnehmer kreieren lediglich katastrophale Jobs ohne angemessene Bezahlung, ohne gute soziale Bedingungen für die Beschäftigten nur um im Markt auf Grundlage von Sozialdumping auf dem Rücken der Beschäftigten konkurrenzfähig zu bleiben.
Said El Khadraoui, Sprecher für die S&D Gruppe für Belgien im Parlament warf der Kommission vor, bei der Sicherstellung, dass Mitgliedsstaaten diese Richtlinie korrekt wie vom Parlament vorgesehen implementieren, gescheitert zu sein. Daher sei die einzige noch mögliche Lösung ein Moratorium, damit nun das Parlament sicherstellen kann, dass die gravierenden Probleme die im Rahmen der Postliberalisierung entstanden sind, gelöst werden können.
Isabelle Durant von den Grünen aus Belgien sagte, dass es von Anfang an klar war, dass diese Liberalisierung zum Scheitern verurteilt war. Nun müsse die Kommission diese falsche Politik überdenken und sofort eine Auswirkungsstudie anfertigen um einen Überblick zu bekommen, was wirklich im Postsektor passierte. Sabine Wils von der Linken aus Deutschland unterstützte ebenfalls die Idee des Moratoriums und forderte die Kommission auf, ihre ignorierende Haltung gegenüber den klaren Beweisen zu den Auswirkungen im Postsektor, sowie den Bedenken von ArbeitnehmerInnen und KundInnen aufzugeben und damit zu beginnen Wege zu finden, wie der Universaldienst und gute Jobs für Postberschäftigte erhalten werden können und nicht Jobs, die die Gehälter ruinieren und zerstören.
Weitere RednerInnen, die die Pläne der Komission angriffen waren Marc Tarabela aus Belgien, Silvia-Andrea Ticau aus Rumänien, Ines Ayala Sender aus Spanien und viele andere. Tatsächlich ergriffen eine Vielzahl von Abgeordenten in dieser Debatte das Wort und unterstützen die Positionen und Forderungen von UNI Europa Post&Logistik. Sie verlangten eine Antwort von Kommissar Barnier wieso er bisher keine soziale Absicherung lieferte und ebensowenig die Universaldienstverpflichtung garantiert habe.
Kommissar Barnier erklärte in seiner Antwort an die Abgeordenten des Europäischen Parlaments dass er im kommenden Jahr vorhabe, eine Verbrauchergruppe einzurichten, die sich mit den Auswirkungen der Liberalisierung für Verbraucher und Beschäftigte beschäftigen soll. Er sagte die Kommission wolle soziale Bedingungen und den Universaldienst im Postsektor absichern, er sei jedoch nicht für ein Moratorium, da das Parlament diese Richtlinie mit großer Mehrheit im Jahr 2008 verabschiedet habe. In Antwort zu den Anfragen von den Abgeordenten meinte er, es sei in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten Gesetzen und Politiken zu entwickeln um diese Richtlinie umzusetzen. Aber er sicherte in Folge auch zu, dass eine Studie zu den Auswirkungen zu gegebenen Anlass erstellt werden solle.
Nach Ansicht von UNI Europa Post&Logistik hat die Europäische Kommission den schwarzen Peter einfach weiter gegeben. Kommissar Barnier kann nicht einfach Bedingungen zur Liberalisierung festlegen und dann sagen: „sorry, wir haben es so aufgeschrieben, ihr müsst das jetzt so machen!“ Weiters ist eine Studie zu den Auswirkungen der Postliberalisierung im nächsten Jahr zu spät. Der Schaden ist dann bereits angerichtet und die Liberalisierung ist dann bereits abgeschlossen ohne noch Veränderungen vornehmen zu können. Hier macht die Kommission nur noch einen weiteren Rückzieher in ihrer Verantwortung so wie sie es bereits in den letzten 2 Jahren getan hat. Wir haben seit langem gesagt, dass eine solche Studie vor langer Zeit nötig gewesen wäre, jetzt ist es einfach unehrlich von der Kommission zu sagen, dass ein Moratorium nicht nötig sei um diese durchzuführen. Außerdem ist es ein Fehler von Kommissar Barnier die Mitgliedsstaaten bei der Implementierung dieser nicht-ausreichenden und unkonkreten Richtlinie sich selbst zu überlassen und keine Hilfestellung und Unterstützung zu geben, um sicherzustellen, dass sie im Sinne des Parlaments in nationales Recht umgewandelt wird. UNI Europa Post&Logistik fordert daher ein sofortiges Moratorium zur Implementierung der 3. Postdienstleistungsrichtlinie.
Das Protokoll der Parlamentsdebatte ist unter folgendem Link abrufbar:
http://www.europarl.europa.eu/activities/plenary/cre.do?language=EN