News
Jahreswachstumsbericht 2014 – die Europäische Kommission legt Prioritäten für die Wirtschaftspolitik in Europa fest
Mit der Veröffentlichung des diesjährigen Jahreswachstumsberichtes hat die Europäische Kommission hat das Europäische Semester der wirtschaftspolitischen Koordination 2014 gestartet. Mit dem Jahreswachstumsbericht legt die Kommission die Prioritäten für die Wirtschaftspolitik der EU-Mitgliedstaaten für 2014 fest. Um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten den im Jahreswachstumsbericht dargelegten Forderungen Folge leisten, wird die Kommission in Kürze mit der Erstellung ihrer länderspezifischen Empfehlungen beginnen.
Wie in den vorangegangenen Semestern konzentriert sich die Kommission insbesondere darauf, Sparmaßnahmen zu verordnen, das Finanzsystem zu stabilisieren und europäische Waren und Dienstleistungen hinsichtlich der Kosten im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger zu machen. Um dies zu erreichen, dringt die Kommission regelmäßig auf Maßnahmen, die sich für die arbeitende Bevölkerung in Europa als extrem schädlich erwiesen haben: Angriffe auf die Tarifstrukturen, Einschnitte bei den Sozialausgaben und Arbeitsmarktreformen zugunsten des Kapitals sind typische Resultate des Europäischen Semesters. Die UNI Europa-Broschüre „Das Gruselkabinett der wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU“ bietet einen Überblick über derartige Maßnahmen, die in jüngster Zeit umgesetzt wurden und besonders verheerende Auswirkungen hatten.
2014 werden die Mitgliedsorganisationen von UNI Europa insbesondere auf zwei Ankündigungen im Jahreswachstumsbericht 2014 reagieren müssen.
1 Liberalisierung des Dienstleistungssektors
Angesichts anhaltender wirtschaftlicher Stagnation will die Kommission durch die Schaffung eines umfassend liberalisierten Marktes für Dienstleistungen eine Rückkehr zu Wachstum anregen. Daher fordert der Jahreswachstumsbericht 2014 eine „rigorose Anwendung“ der EU-Dienstleistungsrichtlinie in allen Branchen der europäischen Dienstleistungsindustrie. Mit dieser Ankündigung bekräftigt die Kommission ihre Intention, den sozialen Fortschritt und menschenwürdige Arbeitsbedingungen um eines nicht abzuschätzenden wirtschaftlichen Nutzens willen zu gefährden. UNI Europa vertritt bereits seit langem die Auffassung, dass die Dienstleistungsrichtlinie dem Sozialdumping, rücksichtslosem grenzüberschreitendem Wettbewerb und der Bildung von Oligopolen Vorschub leistet. Eine wirtschaftspolitische Steuerung in der EU, die Arbeitnehmern, Verbrauchern und der Gesellschaft gleichermaßen zum Vorteil gereicht, muss sozial wesentlich ausgewogener ausgestaltet werden.
Ungeachtet dieser schwerwiegenden Vorbehalte hat die Kommission diese arbeitnehmerfeindliche Agenda weiter vorangetrieben und den Dienstleistungssektoren einzelner Mitgliedstaaten detaillierte Reformmaßnahmen verordnet. Ein Beispiel hierfür ist die Forderung der Kommission nach einer umfassenden Liberalisierung des spanischen Einzelhandelssektors im Jahre 2013. Der Europäische Rat lobte dieses Vorgehen während seiner Sitzung am 24.-25. Oktober. Es ist daher weiterhin mit EU-Initiativen zu rechnen, die eine fortschreitende Liberalisierung des Dienstleistungsbereiches fordern.
Die Dienstleistungsgewerkschaften auf nationaler und auf europäischer Ebene müssen darauf vorbereitet sein, die Interessen der Beschäftigten in der europäischen Dienstleistungsindustrie zu verteidigen. Entscheidungsträger auf beiden Ebenen müssen mit der Ablehnung der Liberalisierung im Dienstleistungssektor durch die Gewerkschaftsbewegung konfrontiert werden und müssen über die Notwendigkeit informiert werden, einen alternativen Weg zur Bekämpfung der Krise einzuschlagen. Vor allem mit dem EGB-Vorschlag eines „Plans für Investitionen, nachhaltiges Wachstum und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze“ hat die europäische Gewerkschaftsbewegung tragfähige und sozial ausgewogene Alternativen zu der derzeitigen Mischung aus Sparmaßnahmen und Strukturreformen entwickelt. Die europäischen Gewerkschaften müssen diese Alternative durch koordinierte Aktionen auf allen Ebenen propagieren.
2 Angriffe auf den Sozialen Dialog und die Regelungen im Sozialbereich
Die Kommission ist der Ansicht, dass die Bürokratie eine der Hauptursachen für das mangelnde Wachstum in der EU ist. Aus diesem Grund ist sie entschlossen, Gesetze abzuschaffen, mit denen man den großen Konzernen auf die Füße treten könnte. Die schändliche REFIT-Mitteilung der Kommission, in der der gesamte Bereich der Gesetzgebung zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz als potentiell redundant eingestuft wird, ist das erste Resultat dieser neoliberalen Agenda.
Die EU wird daher keine Gesetzesvorhaben zur Verhinderung von Verletzungen des Bewegungsapparates (z.B. Rückenschmerzen) einbringen, der größten Gesundheitsgefahr in den meisten Bereichen des Dienstleistungssektors.
Mit ihrer Weigerung, die Vereinbarung der Sozialpartner zum betrieblichen Gesundheitsschutz im Friseurhandwerk in ein Gesetz umzuwandeln, hat die Kommission bereits demonstriert, dass sie bereit ist, den Sozialen Dialog zu attackieren, wenn dieser dem REFIT-Vorgehen im Wege steht.
Im Jahreswachstumsbericht 2014 wird darüber hinaus erklärt, dass weitere Maßnahmen im Einklang mit der REFIT-Mitteilung eines der Hauptprojekte der Kommission im kommenden Jahr sein werden. UNI Europa hat bereits den Kampf gegen diesen Angriff auf den Sozialen Dialog, das soziale Europa und die Gesundheit der Beschäftigten im Dienstleistungssektor zur Hauptpriorität erklärt. Ein wirksames Vorgehen gegen diese REFIT-Agenda der Kommission erfordert eine energische Kampagne, in der Lobbyarbeit, rechtliche Schritte und eine Mobilisierung der Öffentlichkeit miteinander kombiniert werden. Eine enge Verzahnung der europäischen und der lokalen Ebene der europäischen Gewerkschaftsbewegung ist hierbei unabdingbar, um die Vision eines sozialen Europas im Angesicht der aktuellen wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU zu verteidigen.
Schlussfolgerung: ein soziales Europa ist der einzige Weg
Mit dem diesjährigen Jahreswachstumsbericht verfeinert die Kommission ihre neoliberale, antisoziale Strategie der Krisenbewältigung. Die Konzepte Sparpolitik, Strukturreformen und Liberalisierung dominieren auch weiterhin die wirtschaftspolitische Steuerung in der EU. Obgleich die Kommission eingesteht, dass den Sozialpartnern und den nationalen Parlamenten eine stärkere Rolle in den Entscheidungsprozessen eingeräumt werden muss, bleibt doch abzuwarten, ob sie bereit ist, den Forderungen der Akteure nachzugeben und den Kurs zu ändern.
Wie in dem Positionspapier von UNI Europa mit dem Titel „Für eine sozial verantwortungsvolle und demokratische wirtschaftspolitische Steuerung in der EU” festgestellt, können die Gewerkschaften des Dienstleistungssektors in Europa keine neoliberale wirtschaftspolitische Steuerung der EU akzeptieren, die die Sorgen und Nöte der Beschäftigten im europäischen Dienstleistungssektor nicht aufgreift. Die europäische Gewerkschaftsbewegung wird daher auch weiterhin ihre Missbilligung des Vorgehens der Kommission zum Ausdruck bringen und auf eine Kursänderung in der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU dringen: eine alternative wirtschaftspolitische Steuerung der EU, die wirklich sozial verantwortlich und demokratisch ist, ist Voraussetzung dafür, dass die Gewerkschaftsbewegung auch weiterhin den europäischen Integrationsprozess unterstützt.