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Armee der Unsichtbaren – die modernen Sklaven
Verdeckte Recherche über das Leben von Lieferdienstmitarbeiter in Deutschland
von Günter Wallraff
Schneller und billiger sind die beiden Werte in der Lieferindustrie. Es ist eines der am stärksten wachsende Geschäft der Welt. Alleine in Europa sind 250.000 bis 300.000 FahrerInnen täglich für lächerlich geringen Lohn unterwegs, um dies möglich zu machen. Günter Wallraff arbeitete als verdeckter Journalist in GLS, ein Tochterunternehmen von Royal Mail UK. Er beschreibt in seiner Reportage das Leben eines Lieferdienstmitarbeiter: das Duchschnittsgehalt in Deutschland für diese Arbeit: 5 Euro die Stunde oder sogar weniger bei 12 Stunden Arbeitstagen oder mehr ohne Pausen. Dies wurde möglich, durch die Deutsche Gesetzgebung, die im Laufe der Zeit den Sektor immer weiter dereguliert und liberalisiert hat.
Die Unternehmen arbeiten hauptsächlich mit Sub-Unternehmen, so können sie Risiken auslagern. Für die FahrerInnen bedeutet dies: sortieren und ausliefern in kürzestmöglicher Zeit, also extra Stress (Arbeitstage ohne Pausen), harte physische Arbeit (täglich mehr als 230 Pakete oder mehr als 7 Tonnen heben) und dabei auch noch freundlich zu den KundInnen sein, das ist alles Teil der Arbeit. Gleichzeitig bleiben die Risiken Strafen für überladene Autos oder Geschwindigkeitsübertretungen zu bekommen bei den FahrerInnen. Sie oder ihre Sub-Unternehmer müssen auch die Kosten für Auto, Uniform, Reinigung, etc. übernehmen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Fluktuation bei den FahrerInnen extrem hoch ist, was zu Lasten der Servicequalität geht. Die Europäische Gesetzgebung macht dies möglich.
Walraff’s Bericht schockiert, berichtet aber nichts Neues. Gewerkschaften existieren nicht in diesen Verteilzentren. Jeder Versuch, ArbeitnehmerInnenvertreterInnen beizuziehen oder in Kontakt mit anderen FahrerInnen zu treten, stoppt das Unternehmen mit Drohungen und Überwachung, oft mit versteckten Kameras. Die Beschäftigten haben strikte Regeln mit finanziellen Strafen bei Vergehen, diese Regel- und Strafkatraloge führen Unternehmen ein und werden von den Sub-Unternehmen kontrolliert und umgesetzt. Die Tätigkeiten in den Verteilzentren und das Beladen des Wagens sind als vorbereitende Arbeiten deklariert und zählen daher nicht als offizielle Arbeitszeit, werden also auch nicht bezahlt. Lenk- und Ruhezeiten, Arbeitszeitbestimmungen, etc. werden nicht respektiert und das im vollen Bewußtsein der Unternehmen. Die FahrerInnen benötigen technisches Wissen um die komplizierten Scan-System zu bedienen, diese eignen sich aber auch hervorragend um jede Minute ihres Arbeitstages zu kontrollieren. Die Wagen zur Auslieferung der Pakete sind meistens in einem schlechten Zustand, oft nicht sicher und entsprechen nicht den Sicherheitsbestimmungen oder der Straßenverkehrsordnung - aber reparieren ist zu teuer in diesem harten Geschäft!
Das Resultat sind physische und psychische Probleme für die Beschäftigten, oft verbunden mit Missbrauch von Amphetaminen oder Energy Drinks und Schmerzmittel. Das Risiko von Verkehrsunfällen, Strafen oder Krankheit bleibt den FahrerInnen. Durch den hohen Stress and die Arbeitsbelastung ist die Fluktuation unter den Beschäftigten hoch – das hält der Körper nicht allzu lange durch. Diese Arbeit macht Menschen krank! Es gibt auch keine Zeit für ein Sozialleben – nicht einmal an den Wochenende, da sind diese Leute zu müde. Und diese harte Arbeit hat scheinbar keinen Wert, nicht in Geld (1.300 Euro monatlich brutto oder einen geringen Stücklohn per Paket) nicht bei den KundInnen (die am Liebsten gratis Lieferung hätten) und schon gar nicht bei den Chefs (ein GLS Manager in Süddeutschland: „Diese Leute sind halt dafür geboren! – Wir kriegen hier sowieso nur Pack.“). Durch die Anwendung dieser Dumpingmethoden machen diese Unternehmen enorme Gewinne, GLS hatte einen Gewinnanstieg von 10% im Jahr 2010 (insgesamt € 145 Mio). Aber es ist nicht nur GLS, auch UPS, TNT und DHL benutzen diese dreckigen Geschäftpraktiken um ihre Profite zu steigern.
Der gesamte Artikel von Günter Wallraff ist abrufbar unter:
http://mobil.zeit.de/2012/23/Wallraff-Paketzusteller
Dies ist nicht der einzige Bericht über die Bedingungen in der Lieferindustrie, UNI Global Union und die ITF haben ein Weißpapier über die Arbeitsrechtsverletzungen weltweit bei DHL veröffentlicht. Mehr Links und Informationen dazu gibt es hier:
http://www.respectatdhl.org/corporate-irresponsibility.html?lang=de
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/45_min/videos/minuten393.html
http://www.arte.tv/de/Videos-auf-ARTE-TV/2151166,CmC=3159952.html