Neukonzipierung der Callcenter anhand eines Bottom up Ansatzes
Aus einem neuen UNI-Bericht „Making the Right Call - Redesigning Call Centres from the Bottom Up” (Die richtige Entscheidung treffen – grundsätzliche Umgestaltung von Callcentern) gehen die durch schlechte Managementpraktiken verursachten negativen physischen und psychischen Folgen für Callcenter-Beschäftigte hervor. In dem Bericht wird auch darauf verwiesen, dass Callcenter-Betreiber wirtschaftlicher arbeiten könnten, wenn sie die Beschäftigten stärker berücksichtigen und mehr auf sie eingehen würden.
Zu diesen Praktiken gehört, dass Beschäftigte gezwungen werden, sich strikt an Gesprächsleitfäden, sogenannte Skripts, zu halten, wobei die Gespräche intensiv überwacht werden und ein Versagen im Hinblick auf die Erreichung der Leistungsziele an Abstrafung und Entlassung gekoppelt ist. In Folge dieser Managementverfahren leiden die Beschäftigten unter Repetitive Strain Injuries (Verletzungen durch repetitive Beanspruchung), Muskel- und Skeletterkrankungen, Stress, Angstzuständen und Burnout.
„Callcenter-Mitarbeiter gehören zu dem neuen Mitarbeiterheer in dem Millionen von Arbeitsplätzen in allen Regionen der Welt umfassenden Kommunikationssektor. Dieser Bericht zeigt, warum wir die Spielregeln ändern müssen, indem wir Callcenterbeschäftigten eine Stimme am Arbeitsplatz verleihen, so dass sie nicht nur ihre körperliche und geistige Gesundheit verbessern, sondern auch bessere Dienstleistungen für die Kunden erbringen können, was schließlich im wirtschaftlichen Interesse des Unternehmens ist“, so Marcus Courtney, Leiter der UNI ICTS Global Union, die den Callcenter-Aktionsmonat koordiniert.
„Making the Right Call - Redesigning Call Centres from the Bottom Up” wird von der UNI Global Union im Rahmen ihres weltweiten Callcenter-Aktionsmonats, der heute, am 1. Oktober, beginnt, herausgegeben. Während des Aktionsmonats rücken die UNI und ihre Mitgliedsorganisationen die Arbeitsbedingungen und Probleme, mit denen Callcenter-Beschäftigte auf der ganzen Welt konfrontiert sind, ins Licht der Öffentlichkeit und schlagen Lösungen vor.
Die Callcenter-Branche ist in den letzten 20 Jahren weltweit regelrecht explodiert, da die Kosten für die Erbringung von Dienstleistungen und den Verkauf über das Telefon von weit entfernten Standorten dank der Fortschritte in den Informations- und Kommunikationstechnologien drastisch gesunken sind. Im selben Zeitraum erwarben Callcenter einen schlechten Ruf, und zwar sowohl als Kanal für den Kundenkontakt als auch als Arbeitsplatz.
T-Mobile USA, eine Tochtergesellschaft der Deutsche Telekom, ist ein Beispiel für die Managementpraktiken, die zu unbefriedigenden Ergebnissen für die Beschäftigten und unnötigen Rentabilitätseinbußen führen.
Die amerikanische Gewerkschaft der Kommunikationsbeschäftigten (CWA) versucht aktiv die Beschäftigten von T-Mobile USA gewerkschaftlich zu organisieren, aber das Management wehrt sich vehement dagegen, den Beschäftigten das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen und einer Gewerkschaft beizutreten, zu gewähren. Die CWA und die deutsche Gewerkschaft ver.di, die Beschäftigte bei Deutsche Telekom organisiert, nutzen die Veröffentlichung des Berichts, um Verbesserungen in den Callcentern von T-Mobile USA zu fordern.
Ado Wilhelm, Leiter der ver.di-Fachgruppe Mobilkommunikation, erklärt: "Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Deutsche Telekom an allen ihren globalen Standorten die gleichen 'besten Praktiken' befolgt, die wir in Deutschland ausgehandelt haben. T-Mobile USA sollte in ihren US-Call-Centern in den Bereichen Überwachung, Leistungsbewertung und Disziplin dieselben Standards wie in ihre Konzernmutter zur Anwendung bringen. Die missbräuchlichen Praktiken der Manager in den Vereinigten Staaten sind beunruhigend".
Denise Anderson, T-Mobile-Angestellte im Call-Center Wichita, Kansas, bestätigt die Resultate des Berichts und wünscht sich, dass ihre Unternehmensleitung den vom Verfasser des Berichts vorgelegten Empfehlungen Folge leistet: "Ich sehe jeden Tag, dass Kolleginnen und Kollegen aufgrund von Stress, ständiger Überwachung, unrealistischen Leistungszielen und schlecht koordinierten Zeitplänen Krankheitsurlaub nehmen müssen. Wir wollen in Zusammenarbeit mit dem Management einen hochwertigen Kundendienst leisten, doch das Unternehmen will nicht auf uns hören. Ich möchte deshalb durch eine Gewerkschaft vertreten werden, über die wir eine Stimme erhalten, nicht nur um die Qualität unseres Jobs sondern auch die des Kundendienstes zu verbessern".
Der Bericht enthält sechs Empfehlungen für verbesserte Managementpraktiken, die gemeinsam von Beschäftigten und Management umgesetzt werden sollten.
- Übergreifende Schulung von Beschäftigten, damit sie viele verschiedene Arten von Anrufen beantworten können
- Weniger Rückgriff auf Gesprächsleitfäden
- Den Beschäftigten mehr Wahlmöglichkeit in Bezug auf Arbeits- und Pausenzeiten geben.
- Herabsetzung der Überwachungsfrequenz und -intensität
- Verwendung der aus der Gesprächsüberwachung gewonnenen Informationen zur Weiterentwicklung von Kompetenzen statt zur Abmahnung oder Abstrafung der Beschäftigten
- Einbeziehung der Beschäftigten in die Festlegung und Überprüfung von Leistungszielen.
Obwohl Callcenter nachweislich bessere Ergebnisse erzielen und rentabler sind, wenn die Beschäftigten dabei mitreden dürfen, wie sie die Dienstleistungen für den Kunden über das Telefon erbringen, scheinen die Geschäftsleitungen der meisten Callcenter der Welt es vorzuziehen, diese Tatsache zu ignorieren.
Im Rahmen des Berichts wurden zahlreiche akademische Forschungsarbeiten ausgewertet, in denen empirisch untersucht wurde, in welcher Relation die unterschiedlichen Callcenter-Management-Ansätze zum Wohlbefinden und zur Leistung der Beschäftigten stehen. In die Forschungsarbeit flossen die Ergebnisse zahlreicher Umfragen und Fallstudien ein.
Die Studie wurde von Frau Dr. Virginia Doellgast und Frau Lisa Sezer erstellt. Frau Dr. Doellgast ist Lehrbeauftragte für komparative Arbeitsbeziehungen an der London School of Economics. Sie promovierte an der Cornell Universität. Frau Sezer ist Doktorandin im Fachbereich Abeitsbeziehungen an der London School of Economics.