Interview des Verdi Magazin Bewegen mit Rolf Büttner
bewegen:
Warum wurde der europäische Postmarkt liberalisiert? Und wann begann dieser Prozess?
Rolf Büttner:
In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden Monopole und der Staat als wirtschaftliche Akteure zunehmend in Frage gestellt. Ein neoliberales Wirtschaftsverständnis wurde vor allem aus den USA und England vorangetrieben. Ihre Philosophie: Der Markt braucht keine Regeln. Der Markt soll und wird sich selbst regulieren. Diese Ideologie führte dazu, dass in vielen Ländern die Liberalisierung des Postmarktes ordnungspolitisch forciert wurde. Unterstützt wurde diese Liberalisierungsagenda von der WTO, OECD, Weltbank und der EU Kommission. Wirtschaftliche Interessen und politische Lobbyarbeit der Express-, Logistikunternehmen, Zeitungsverlage und Großversender, die schnelles Geld im Postmarkt machen wollten, waren weitere Triebkräften dieser Entwicklung.
1992 wurde von der EU-Kommission das Grünbuch über die Entwicklung des Postmarktes verabschiedet. Das war der Liberalisierungsstartschuss in der EU. Die Pläne, den Postmarkt schnell und ohne Regeln zu liberalisieren, konnten wir durch gewerkschaftlichen Einsatz verhindern. Statt auf einen Schlag, erfolgte die Öffnung des Marktes in mehreren Schritten. Die Stationen sind bekannt: 1998, 2002, 2006. Bis 2011 soll der Markt völlig liberalisiert sein. Für einige Länder gelten Übergangsfristen bis 2013. Um die Interessen der Bürger zu schützen, wurde den EU-Mitgliedsstaaten auferlegt national einen flächendeckenden Universaldienst zu organisieren. Auch das hat UNI erreicht. Gemessen an der Ausgangslage ist dies ein Erfolg für die UNI-Mitgliedsorganisationen. Aber verhindern konnten wir trotz aller Kraftanstrengungen den Prozess nicht.
bewegen:
Die Politiker haben immer erklärt, der Briefmarkt ist ein Wachstumsmarkt, die Marktöffnung wird zu mehr Arbeitsplätzen und bessere Qualität in der Postversorgung führen....
Rolf Büttner:
... durch ständige Propaganda wird das nicht zur Wahrheit. Fakt ist in Europa: In der Postbranche gibt es nicht mehr sondern weniger Arbeitsplätze als vor dem Startschuss zur Liberalisierung. Vollzeitarbeitsplätze werden in Teilzeitarbeitsplätze umgewandelt. Statt Löhne, die zum Leben reichen sind zunehmend prekäre Arbeitsverhältnisse zu verzeichnen, die mit staatlichen Transferleistungen unterstützt werden. Mit anderen Worten: Der Steuerzahler subventioniert ein krankes Geschäftsmodell im Briefmarkt.
Die Wettbewerber der traditionellen Postbetreiber produzieren auf der Basis von Lohn- und Sozialdumping. Qualität und Zuverlässigkeit kann damit nicht sichergestellt werden. Nennenswerte Investitionen in Zustellnetze, Organisation, stationären Vertrieb sind nicht getätigt worden. Die Versuche der Postgesellschaften den Wegfall des Inlandsgeschäfts durch Auslandsaktivitäten aufzufangen sind bisher gescheitert. Weder die Deutsche Post noch TNT – um mal bei den beiden großen zu bleiben – schreiben im Briefdienst im Ausland schwarze Zahlen.
Für die Bürger gibt es weniger Postfilialen mit qualitativer Beratung, Briefkästen werden abgehängt. Viele Bürger müssen zu ihrem Briefporto noch die Fahrkosten zur nächsten Poststation dazurechnen. Ich kann keine Vorteile für den Bürger erkennen.
Aus allem ergibt sich: Die Verheißungen der EU-Kommission sind das Papier nicht wert auf dem sie geschrieben stehen. Daran ändern auch immer neue interessengeleitete, obskure Gutachten nichts. Die neoliberale Wirtschaftsphilosophie, dass der Markt keine Regeln braucht und alles richtet, ist grandios gescheitert. Das kann man nicht nur im Finanzsektor besichtigen. Keinem Arbeitnehmer ist zu erklären, warum Banken verstaatlicht werden, der Industrie mit Milliarden vom Staat auf die Beine geholfen wird und die weitere Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen segensreich sein soll. Zumal die Arbeitnehmer als Beschäftigte und Steuerzahler auch diese Zeche am Ende zahlen. Wir brauchen jetzt eine Debatte über die Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik. Diese Debatte neu zu beleben ist unsere gewerkschaftliche Aufgabe.
bewegen:
Mit der Liberalisierung des Postmarkts, ging die Umwandlung staatlicher Postunternehmen in Kapitalgesellschaften einher. Also, eine staatliche Aufgabe wird unter privatrechtlichen und wirtschaftlichen Kriterien erbracht. Was ist dabei besseres heraus gekommen?
Rolf Büttner:
Der Stand der Marktöffnung ist in Europa sehr unterschiedlich. Eine komplette Marktöffnung gibt es nur in Schweden (1993), Finnland (1994), Großbritannien (2006) und Deutschland (2008). In Spanien ist der innenstädtische Briefverkehr seit 1964 liberalisiert.
Die Organisationsform ist auch unterschiedlich. In bislang 6 Ländern ist die Post in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden. Nur in Deutschland besitzt der Staat nicht mehr die Aktienmehrheit und will diese auch abgeben. In den meisten Ländern soll der Staat auch weiterhin für die Post Verantwortung tragen.
In England wird diskutiert die Royal Mail – die zu Tode reguliert wurde und vor dem finanziellen Kollaps steht – an TNT zu verkaufen. TNT will sich aber nur engagieren, wenn der Steuerzahler die 7 Mrd. Pfund Pensionslasten von Royal Mail übernimmt.
Auch ein Blick auf die G7-Staaten zeigt: Nur in Deutschland ist die materielle Privatisierung realisiert. In Japan wurde die Post-Privatisierung eingeleitet. Nicht dagegen in den USA, die sonst immer gern eine Privatisierungsvorreiterrolle einnehmen.
Es ist übrigens ein großes Irrtum zu meinen, dass Liberalisierung zwangsläufig mehr Wettbewerb zur Folge hat. Es gibt Länder, in denen der Markt schon seit Jahren freigegeben wurde und kein Wettbewerb herrscht. So z. B. Finnland. Dort sind Lizenzanforderungen so hoch, dass es für neue Anbieter uninteressant ist einen Postdienst aufzubauen.
Das Entstehen von Wettbewerb im Briefmarkt wird von Regulierungsfaktoren wie Anforderungen an den Marktzutritt neuer Anbieter, Gestaltung Netzzugang, Preisregulierung, soziale Gestaltung des Wettbewerbs, Gewährleistung und Finanzierung des Universaldienstes bestimmt.
In Deutschland dagegen sind die Regeln für neue Wettbewerber paradiesisch. Zu Lasten des traditionellen Postbetreibers wird regulierungspolitisch die Marktöffnung vorangetrieben. In fast allen anderen Länder Europas bemüht man sich – mit Ausnahme von England - hohe Regulierungsvorgaben aufzubauen. Damit sollen die traditionellen Postbetreiber vor unfairen Praktiken geschützt und die Finanzierung des Universaldienstes gesichert werden.
Am tollsten treibt es die holländische TNT, und ihr Vorstand Peter Bakker. Mit Brutal-Lobbyismus und juristischen Auseinandersetzungen geht man gegen die traditionellen Postbetreiber in Europa vor, um sich Marktanteile zu sichern. Kein schmutziger Trick wird dabei ausgelassen. In den Niederlanden selbst ist die Postreform 5 mal verschoben worden.
Ich begrüße es ausdrücklich, dass die holländische Regierung erklärt, dass der Markt erst geöffnet wird, wenn die TNT-Konkurrenten Sandd und Selekt Mail in Holland vernünftige Löhne und geregelte Arbeitsbedingungen anbieten. Das dies aber für die holländische TNT außerhalb der Niederlande nicht gelten soll, vermag ich nicht einzusehen. Mir ist keine Postgesellschaft in Europa bekannt, die gesetzliche Mindestlöhne nicht akzeptiert und mit krimineller Energie eine Gewerkschaft finanziert, um Lohn- und Sozialdumping durchzusetzen.
Die Folge z. B. in Deutschland: Ein Unternehmen, wie die WAZ-Postservice, die den gesetzlichen Postmindestlohn zahlt, verliert einen Auftrag der Stadt Dortmund an TNT-Post, weil die den Postmindestlohn ignoriert. Wenn das am Ende von den Heilsversprechen der Marktradikalen übrig bleibt, ist keine Volksabstimmung über Europa zu gewinnen. Der irische EU-Kommissar McCreevy sollte darüber einmal nachdenken.
bewegen:
Da Postdienstleistungen personalintensiv sind, werden Personalkosten zu relevanten Kosten- und Wettbewerbsfaktoren. Ein hoher Anreiz zur Unterbietungskonkurrenz durch Lohn- und Sozialdumping. Welche flankierenden sozialen Maßnahmen hat dem die EU zur Seite gestellt? Was passiert da in unseren Nachbarländern? Wie verlaufen da die Diskussionen zum Schutz der Beschäftigten?
Rolf Büttner:
Die EU-Kommission hatte hier ursprünglich keine Handlungsnotwendigkeit gesehen. Ihr Motto: Die Marktkräfte werden das regeln. Erst durch die Aktivitäten von UNI wurden über das Europa-Parlament Regelungen zur sozialen Flankierung in die EU-Richtlinie 2008/6/EG und deren Begleitbeschlüsse aufgenommen. Damit sollte der politische Wille zum Ausdruck gebracht werden, dass eine größtmögliche Zahl anständiger Arbeitsplätze erhalten bleiben müssen. Preisliche Unterbietung durch Lohndumping soll verhindert werden. Ausdrücklich steht nun fest, dass die Erteilung einer Lizenz von der Einhaltung nationaler Rechtvorschriften und deren Verpflichtung zur Einhaltung abhängig gemacht werden kann. Eine „Grundanforderung“ für die Erbringung von Postdienstleistungen ist u.a. „die Beachtung von Beschäftigungsbedingungen und Systeme der sozialen Sicherheit, die gemäß den gemeinschaftlichen und nationalen Rechtsvorschriften durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und / oder Tarifverträge, die zwischen den nationalen Sozialpartnern ausgehandelt wurden. „
Damit ist klargestellt, dass nationale Postmindestlöhne gewollt und mit EU Recht vereinbar sind. In 20 EU-Mitgliedsstaaten gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn. In 5 Mitgliedsstaaten eine tarifliche Mindestlohnsicherung. In Deutschland eine gesetzliche Postmindestlohnregelung. Nur in Zypern gibt es keinen gesetzlichen und tariflichen sozialen Mindestschutz.
Die ältesten Regelung finden wir in Schweden. Dort sind seit der vollständigen Liberalisierung 1993 die Arbeitsbedingungen tarifvertraglich zwischen den traditionellen Postunternehmen Posten AB und seine Wettbewerbern auf vergleichbaren Niveau geregelt. In Österreich soll mit der Marktöffnung 2011 ein für alle geltender Kollektivvertrag mit Mindestarbeitsbedingungen eingeführt werden. Vergleichbare Bestrebungen gibt es auch in Frankreich und vielen anderen Ländern. Die Niederlande machen ihre Marktöffnung von verbesserten Lohn- und Arbeitsbedingungen abhängig und fordern tarifvertragliche Regelungen dazu.
Blickt man zum Nicht-EU-Land Schweiz: Hier erhält man eine Lizenz nur, wenn die branchenüblichen Arbeitsbedingungen eingehalten werden.
Fazit: Mit dem von UNI in der EU-Postdienstrichtlinie durchgesetzte Instrument kann sich was bewegen. Dafür muss gekämpft werden.
bewegen:
In regelmäßigen Abständen lesen wir, dass die EU-Kommission Deutschland wegen des Postmindestlohns verklagen will. Was ist davon zu halten?
Rolf Büttner:
Die EU-Kommissare McCreevy und Nehles müssen aufpassen, dass ihnen nicht vorgeworfen wird, dass sie sich zum Lobbyisten von Peter Bakker und Co. machen. Ihre Politik ist schon befremdlich.
Der Deutsche Postmindestlohn ist mit EU-Recht vereinbar. Das hat uns auch der EU-Kommissar für soziale Fragen Herr Spidla bescheinigt. Das ist Recht und Gesetz.
Den Marktradikalen in der EU geht es darum, dass Niederlassungsfreiheit vor Verfassungsrecht und Tarifautonomie gehen. Das steckt hinter den Attacken. Das von ihnen eine soziale Kälte ohne gleichen ausgeht, zeigt der Bericht der EU-Kommission an das EU-Parlament vom 22.12.2008 zum Stand der Postmarktliberalisierung. Die soziale Dimension einer Branche mit 2 Millionen Beschäftigten findet darin überhaupt nicht statt. Im Gegenteil: Zu verabredeten Schutzregeln wird mit einem negativen Tenor Stellung genommen.
Bei der Europawahl haben wir die Gelegenheit den Marktradikalen einen Denkzettel zu verpassen und die Kräfte zu stärken, die uns im Europa-Parlament den Rücken stärken. Und vor allem: Sich gewerkschaftlich organisieren und auch bei Europa-Themen kämpfen!
bewegen:
Du kommst viel herum in Europa und deshalb auch die Frage nach der Sicht auf uns von außen: Wie werden denn die Diskussionen in Deutschland, das Faktum der kompletten Marktöffnung und das politische Streit um sozialen Schutz der Arbeitnehmer von unseren Nachbarländern wahrgenommen?
Rolf Büttner:
Der deutsche Weg, die Beschäftigten vor Lohn- und Sozialdumping durch einen Postmindestlohn zu schützen, wird positiv bewertet. Die Studien von Input Consulting GmbH, die unsere UNI-Mitgliedsorganisation ver.di im Auftrag gegeben hat, hat auch eine internationale Debatte ausgelöst. Eine vergleichbare Studie von Forba gibt es jetzt in Österreich. Gleiches Ergebnis: Zunahme prekärer Beschäftigung. Erkenntnis der Arbeiterkammer: Wir brauchen soziale Regeln.
Der Liberalisierungsprozess in den Nachbarländern geht jetzt erst richtig los. Deshalb ist auch die europäische Solidarität groß, dass ver.di sich gegen die Hungerlohnhalunken in Deutschland erfolgreich durchsetzt.
bewegen:
1995, also kurz vor der Verabschiedung der 1. Postdienste-Richtlinie, erwirtschafteten 1,7 Millionen Arbeitnehmer im direkten Postsektor einen Umsatz von über 60 Milliarden Ecu. Der Anteil des Postsektors am Bruttoinlandprodukt betrug rund 1,3 Prozent. Wie sieht das heute aus? Hat der Wettbewerb nachhaltige Beschäftigung bei den Universaldienstleistern und neue Arbeitsplätze bei Wettbewerbern geschaffen?
Rolf Büttner:
Die Postmarktliberalisierung hat keine neuen Arbeitsplätze geschaffen. Im Gegenteil. Und auch für die Zukunft sehe ich schwarz: Der Briefmarkt ist ein schrumpfender Markt. Elektronische Medien ersetzen mehr und mehr den herkömmlichen Brief. In den letzten Monaten ist zu beobachten, dass auch Direkt-Mail keine Umsatzschübe mehr auslöst. Der Verteilungskampf wer sich in einen schrumpfenden Markt Anteile erkämpft, ist im vollem Gange. Die Betriebsorganisationen der Postunternehmen werden durch Umorganisation mit neuer Technik modernisiert. In Deutschland ist man zwar sehr weit, aber in Europa holt man jetzt auf. Daraus folgt: Neue Arbeitsplätze, wie es nun die neoliberalen Glaubenseiferer weis machen wollen, werden nicht entstehen.
Ich sehe das so: Ein Teufelskreis beginnt. Um den Universaldienst mit sinkenden Einnahmen zu finanzieren, bleiben nur zwei Möglichkeiten:
Entweder:
- Den Kostendruch an die Beschäftigten weitergeben: Weiterer Arbeitsplatzabbau, Arbeitsplatzvernichtung, Verlagerung unbezahlter Arbeit, Löhne runter. Produktionsmodelle, die auf prekäre Beschäftigung setzen
oder:
- Einschränkungen beim Service: z. B. statt 6 Tage Zustellung 5 Tage, Abbau bei der Zustellqualität, beim Service usw. Ein Universaldienst-Light, wie er von einigen Postchefs unlängst propagiert wurde. Auch das kostet Arbeitsplätze.
Beschäftigte und Bürger werden die Zeche zahlen, wenn das Steuer nicht herumgerissen wird.
Wir brauchen eine neue Debatte über eine Finanzierungsregelung der Universaldienste und ein neues Nachdenken über die Chancen des Briefes in Kombination mit der IT-Technik. Des weiteren sollte der Briefempfänger mehr in den Blick genommen werden. Welche Serviceleistungen kann ein Postunternehmer abseits von der Briefzustellung erbringen? Da liegen Chancen für gute, zukunftssichere Arbeitsplätze. Das erfordert aber ein neues Denken!
Was viele Politiker aus dem Blick verlieren: Wenn zugelassen wird, dass die Postunternehmen wegen der undurchdachten Liberalisierungspolitik ausbluten, kommen Milliarden-Lasten auf die Allgemeinheit zu. Bei Royal Mail in England kann man das jetzt beobachten. Für Deutschland heißt das: Wenn der Staat alle seine Aktien verkauft und dann ein oder mehrere Investoren zu dem Schluss kommen den Konzern zu zerschlagen, dann bleibt der Staat auf Milliarden in Form von Gehaltszahlungen und Pensionslasten für Beamte sitzen. Glaubt im Ernst jemand, dass aus dem Kapitalmarkt heraus dafür Verantwortung übernommen wird? Die Debatte um die Investoren bei Royal Mail, der belgischen und dänischen Post sollte zu denken geben. Die Zeche zahlen dann die Bürger und Arbeitnehmer.
Es gilt mit der Gewerkschaft gegenzusteuern, sich einzumischen. Wenn es die Gewerkschaft und internationale Solidarität nicht gäbe, müsste man das neu erfinden!
bewegen:
Aber die Postgesellschaften stellen sich als unverzichtbare Wohltäter für die Allgemeinheit dar.
Rolf Büttner:
Postdienste sind ja auch für die Allgemeinheit wichtig. Die Kernfrage ist: Für wenn soll die Post da sein? Für die Allgemeinheit oder den Shareholder, der hohen Profit will?
Früher hat die Post in Krisenzeiten investiert und als Sondervermögen des Staates mitgeholfen Konjunkturprogramme anzuwerfen. Heute werden in der Krise Kostensenkungsprogramme gefahren.
Früher hat die Post z. B. in Deutschland auf ihren Gewinn eine 10% Abgabe an den Staat gezahlt. Heute können wir in den Geschäftsberichten nachlesen, dass zwischen 2001 bis 2007 der Deutschen Post AG 142 Mio. Euro an Ertragssteuern erstattet wurden. Im gleichen Zeitraum wurden Gewinne in Höhe von 10,23 Mrd. Euro ausgewiesen! Dagegen haben die Postler 2001 bis 2007 ca. 10 Mrd. Euro an Einkommensteuern bezahlt.
Das heißt: Die Arbeitnehmer bei der Post zahlen Steuern, die Post AG zahlt nichts. Sondern im Gegenteil, sie bekommt etwas vom Staat.
Mit dem Ende der Exklusivlizenz zum 1.1.2008 ist auch die Verpflichtung der Deutschen Post zur Erbringung des Universaldienstes ausgelaufen. Im Moment gilt es rechtlich keine Verpflichtung. Nur eine freiwillige Selbstverpflichtung – wo doch jeder weiß, wie wenig belastbar so etwas ist. Ein Qualitätsverlust z. B. in der Zustellung wird so lange geleugnet bis der gewerkschaftliche und öffentliche Druck so groß ist, dass man handeln muss.
Es wird immer deutlicher: Man kann nicht zwei Herren dienen. Eine Debatte ist überfällig welche Rolle der Staat spielen soll. Welche Ziele und welche Gewinnerwartungen der Eigentümer hat.
Ich werbe dafür, dass der Staat sich nicht aus den Postgesellschaften verabschiedet. Im Gegenteil, er muss sicherstellen, dass er mehrheitlich im Besitz der Post bleibt. Und der Eigentümer muss sich einbringen und die Interessen der Bürger mehr zur Geltung bringen.
Die Debatte in Frankreich so etwas über einen Staatsfonds zu organisieren, lässt aufhorchen, dass es auch anders geht.
bewegen:
Welchen Einfluss hat die Liberalisierung in der EU auf den „Rest“ der Welt?
Rolf Büttner:
Bei den WTO-GATS-Verhandlungen ist die EU-Kommission fest entschlossen die Marktöffnung des Postsektors zu erreichen.
UNI hält dagegen. Viele Regierungen unterstützen uns dabei. Sie wissen: Sie erben die Probleme mit der Bereitstellung und Finanzierung des Universaldienstes.
Auch die UPU (Weltpostverein) kämpft für den Universaldienst. Ohne nationale Postgesellschaften wären viele Bürger in den Nicht-Industriestaaten Afrikas, Asiens, Amerikas von Postdienstleistungen abgeschnitten.
Das Beispiel Argentinien haben viele vor Augen: Da wurde die Post liberalisiert und privatisiert. Dann folgte der Zusammenbruch der Postversorgung im ganzen Land. Heute ist man dabei die staatliche Post neu aufbauen.
Selbst unter George Bush hat in den USA keine politische Mehrheit gegeben die Postdienstleistungen privatisieren zu wollen. Von Alaska bis Kalifornien bleibt es bei der staatlichen US-Post. Ein Erfolg unserer UNI-Mitgliedsorganisationen in den USA.
bewegen:
In der UNI Europa haben sich 68 Postgewerkschaften zusammengeschlossen. Sie vertritt 2 Millionen Beschäftigte. UNI ist die Stimme der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieser Branche, wenn es in den europäischen Gremien und gegenüber den Post-Arbeitgeberverband um ihre Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geht. Wie hat die UNI ihre Interessen im Prozess der Liberalisierung des Postmarktes vertreten?
Rolf Büttner:
Zum einen durch Lobbyarbeit gegenüber EU-Parlament und EU-Kommission. Wir haben jetzt in Brüssel ein Büro für Postdienste eingerichtet und personell ausgestattet.
Zum anderen mit Aktionen. In den letzten Monaten gab es Aktionen in Griechenland, Portugal, Spanien, Frankreich, Ungarn, Österreich, Polen. UNI hat unsere Mitglieder solidarisch unterstützt. Wir sind in Europa kämpferischer geworden: Ich erinnere an unseren Marsch der europäischen Beschäftigte in Berlin, an die Kampfmaßnahmen in Straßburg.
Wir nutzen des weiteren den Europäischen Sozialen Dialog. Gerade erst haben wir durchgesetzt, dass das Thema Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping auf die Tagesordnung kommt. Das hat einigen einschlägigen Mitgliedern aus dem Europäischen Arbeitgeberverband überhaupt nicht gefallen.
Wir helfen unseren Kollegen in Mittel- und Osteuropa bei ihren nationalen Postreformen.
In den nächsten Wochen starten wir eine Initiative, um unsere Kollegen in den baltischen Staaten zu unterstützen.
Und wir nehmen eine aktive, konstruktive Rolle in den Ausschüssen des Weltpostvereins (UPU) war.
Es ist der Mix aus harter Lobbyarbeit und Aktionen der UNI-Familie, das den Erfolg ausmacht.
bewegen:
Was hat sich die UNI als nächstes auf ihre „Fahnen geschrieben“?
Rolf Büttner:
Im September in Dublin findet unsere Europa-Konferenz statt. In Abstimmung mit unseren Mitgliedsorganisationen arbeiten wir an einem Strategiepapier was bei der Umsetzung der 3. EU-Postdienstrichtlinie zu erfolgen hat. Wer tut was? International, national. Wie wird das verknüpft um schlagkräftiger zu werden?
Gemeinsam mit der ITF ist ein Projekt zur Organisation von Expressgesellschaften wie DHL, TNT, UPS, Fedex aufgelegt worden. Das sind in wenigen Worten zwei Programme, die es in sich haben. Wenn wir das umsetzen, werden wir am Ende des Jahrzehnts internationale Gewerkschaftsarbeit ganz anders buchstabieren.