Das Zusammenhang zwischen Extremjobs und dem Mangel an Diversität
In einer von der Harvard Business Review (www.hbr.org) veröffentlichten aktuellen Umfrage gelangen die Autoren zum Schluss, dass 'Extremjobber' vor allem junge Männer sind, da sich Frauen übermäßig lange Arbeitszeiten kaum leisten können'. Die gleiche Feststellung wird oft auch in Verbindung mit den älteren Arbeitskräften (Ageismus) gemacht. Die Tatsache, dass ältere Beschäftigte eine sehr lange Arbeitszeit schlecht vertragen, bewirkt, dass bestimmte Berufskategorien für sie gar nicht in Frage kommen.
Entsprechen diese Vermutungen jedoch der Wirklichkeit? Dieser Artikel gibt eine erste Antwort im Vorfeld des UNI-IKT-Forums, dass vom 26.-28. September stattfindet und dem Diversity Management (Vielfaltsmanagement) im IKT-Sektor gewidmet sein wird.
Zunächst ist es wichtig, klarzustellen, was wir unter 'extremen' Jobs verstehen. Gemäß der erwähnten Studie handelt es sich um Jobs, in denen wöchentlich 60 Stunden oder mehr gearbeitet wird, die sehr gut bezahlt sind und auf die mindestens fünf der nachstehend erwähnten Kriterien zutreffen:
Unvoraussehbares Arbeitsvolumen
Hohes Arbeitstempo und großer Termindruck
Schwankender Aufgabenbereich, der den eines einzelnen Jobs übersteigen kann
Arbeitsbezogene Termine außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit
Ständige Verfügbarkeit für Kunden (24/7)
Verantwortung für Gewinn und Verlust
Verantwortung für Beratung und Rekrutierung
Häufiges Reisen
Häufige Direktberichterstattung
Täglich über 10 Stunden physische Präsenz am Arbeitsplatz
Offenbar hat die Verbreitung von "Extremjobs" heute einen Höhepunkt erreicht: 21% der in den USA im Rahmen der Studie befragten Hochverdiener arbeiten unter diesen Bedingungen. Sie sind in allen Sektoren der Wirtschaft zu finden, von großen Produktionsfirmen bis zu Finanzhäusern, jedoch auch im Unterhaltungs- und Medienbereich, bei Medizinern und Juristen sowie in Branchen wie Buchhaltung und Consulting.
66% der befragten 'Extremarbeiter' erklären, dass ihnen ihr höchst anspruchsvoller Job Spaß macht und die mit ihrer Position verbundenen Herausforderungen für sie wichtig sind. Für diesen starken Anstieg extremer Jobs sind drei Hauptfaktoren verantwortlich:
Erstens hat sich der Wettbewerb verschärft. Die ständig zunehmende Übernahmewelle, die Verflachung der Hierarchien und der Eintritt zahlreicher Frauen ins Erwerbsleben haben dieses Phänomen nachhaltig begünstigt. Zudem ist die Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund von Outsourcing bei den Beschäftigten ständig präsent. Vergessen wir aber die Spitzengehälter nicht, die die CEO heutzutage verdienen, und die zweifellos einen wichtigen Ansporn darstellen, mehr als die Rivalen zu arbeiten. Dies könnte sich rasch in einen Teufelskreis verwandeln, denn die Statistiken zeigen, dass die Arbeitslast in Funktion der Position steigt.
Zweitens scheinen die technologischen Fortschritte die Führungskräfte befreit, gleichzeitig aber auch gefesselt zu haben. 72% der befragten Amerikaner erklärten, die Technologie erleichtere die wirksame Erledigung ihrer Arbeitsaufgaben, 59% betonten jedoch, dass sie ihren Arbeitstag verlängert, und 64% sind der Auffassung, dass sie ihr Familienleben einschränkt. Ferner hat man den Eindruck, dass Sekretärinnen durch Do-it-yourself-Technologie ersetzt wurden, was in einer Überlastung der Führungskräfte resultiert. Tatsächlich haben 71% der 'Extremarbeiter' keine vollamtliche Verwaltungsassistentin und 37% haben auch keine gemeinsame Assistentin.
Drittens wird die Verbreitung von 'Extremjobs' durch einen kulturellen Wandel gefördert. Extreme Anstrengungen werden in unserer Gesellschaft geschätzt, etwa so wie bei Extremsportlern: je höher die Ansprüche an die Athleten umso größer das Zuschauerinteresse. Intensive Jobs entsprechen wie Extremsportarten einer freien Wahl, ja einem Wunsch, und werden in keiner Weise als Ausbeutung wahrgenommen.
Zudem spielt sich das gesellschaftliche Leben vieler Beschäftigter immer mehr am Arbeitsplatz und nicht zu Hause ab. Mit der Zunahme der wissensbasierten Arbeit fühlen sich viele immer stärker mit ihrem Job und den Kollegen im Unternehmen verbunden. Der Preis für die lange Präsenz am Arbeitsplatz ist somit weniger hoch.
Extreme Jobs können aber auch erhöhte Kosten bedeuten. So ist es Unternehmen möglich, kurzfristig großen Nutzen aus Extremjobbern ziehen. Auf lange Sicht können sie aber Burn-Out-Fälle, Beförderungsverweigerungen und Gesundheitskosten teuer zu stehen kommen. 69% der im Rahmen der Studie Befragten sind überzeugt, dass sie mit einem geringeren Arbeitspensum gesünder leben könnten, und 65% würden eine Beförderung ablehnen, wenn diese mit einer zusätzlichen Arbeitslast verbunden wäre.
Mangel an Beziehungen mit Frau und Kindern, unbefriedigtes Geschlechtsleben, Unfähigkeit, einen Haushalt zu führen, usw., sind weitere Probleme, mit denen Extremarbeiter konfrontiert sind.
Frauen haben offenbar die "Opportunitätskosten" solcher beruflicher Stellungen besser erkannt. Insbesondere die schlechte Qualität der Beziehungen zu den Kindern scheint sie stärker zu treffen als Männer. Dies ist wohl der Grund, weshalb in den USA weniger 1/5 Frauen Extremjobber sind. Dann werden viel weniger Frauen (12%) von einem Ehemann oder Partner zu Hause unterstützt, als Männer (25%). Mehrere Unternehmen reagieren auf diesen Umstand mit flexibleren Strategien, einschließlich einer Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs, um weibliche Toptalente anzuziehen.
Sind IT-Fachkräfte ein wichtiges Ziel?
Extreme Jobs sind finanziell sehr interessant, können aber für die Betroffenen mit hohem Stress verbunden sein. Stellen wir uns daher die Frage, ob IT-Fachkräfte im Allgemeinen stärker unter Stress leiden als andere Beschäftigte.
Ein kürzlich von der Richard Ivey School of Business veröffentlichter Bericht (http://www.ivey.uwo.ca/media/2007/press/070829.htm) gelangt zum Schluss, dass die Firmen in Programme zur gezielten Unterstützung von IT-Fachkräften investieren sollten. Der Bericht empfiehlt außerdem, den starkem Stress ausgesetzten IT-Fachkräften direkte Unterstützung zu leisten.
Selbst wenn die Studie nicht als 'statistisch signifikant' betrachtet werden kann, lässt sich nicht leugnen, dass die ständige Aktualisierung ihrer technischen Kompetenzen einen wichtigen Stressfaktor darstellt. Nach Angaben von Hsing-Yi (Phoebe) Tsai, PhD-Studentin und Initiantin der Studie, kann die technologische Lernkurve kompetenzvernichtend sein. "Anstatt ihre Kompetenzen auszubauen, versuchen die IT-Spezialisten, diese Kompetenzen aufrecht zu erhalten. Dadurch sind sie vermehrtem Stress ausgesetzt, einem Stress, der von externen Firmen gefördert wird", erklärt sie.
Zwischen 2000 und 2001 stieg die Personalfluktuationsrate in der US-IT-Industrie von 8% auf 10.2% an. Man weiß, dass technologische Veränderungen zu den wichtigsten Ursachen für Personalwechsel gehören und die Unternehmen viel Geld kosten. Aus diesem Grund könnten die Firmen nur gewinnen, wenn sie ihren Angestellten Zeit für Forschung gewähren, physische Mittel zur Erleichterung von Tests zur Verfügung stellen und ihnen die Teilnahme an Lehrgängen ermöglichen würden.
Ist IBM ein nachzuahmendes Beispiel?
Auf den ersten Blick könnte man glauben, dass der IBM-Konzern mit seinem Urlaubssystem für die Beschäftigten die Lösung für die Stressbewältigung gefunden hat. Big Blue gesteht seinen 355'000 US-Mitarbeiter/innen drei oder mehr Wochen Urlaub pro Jahr zu und führt kein Register, wer wie viele Tage und wann im Urlaub ist. IBM erlaubt seinen Angestellten jedoch nicht, freie Tage von einem Jahr auf das nächste zu übertragen. Somit treffen die IBMer auf allen Stufen informelle Regelungen mit ihren Vorgesetzten. Die einzige Vorschrift ist die Einhaltung der Fristen.
Das sieht perfekt aus, doch die Wirklichkeit ist ganz anders. Nach Aussagen von IBM-Angestellten ist der Druck von Kollegen enorm; sie erklärten, dass sie während ihres Urlaubs 'ihre E-Mails und gesprochenen Botschaften oft konsultieren und dabei feststellen, dass Vorgesetzte von Untergebenen verlangen, freie Tage zu streichen, um Fristen einzuhalten'.
Ein anderes Problem sind die Bosse, die nur selten auf Urlaub gehen. "Wenn das Führungsteam nie ausspannt, werden die Leute skeptisch und fragen sich, ob sie tatsächlich Urlaub nehmen können", erklärte Kim Stattner, eine von der New York Times zitierte HR-Beraterin. (http://www.nytimes.com/2007/08/31/nyregion/31vacation.html?_r=2&pagewanted=1&adxnnl=0&ref=business&adxnnlx=1188564688-mrEPM9iT98MCdPrMhJN3bg&oref=slogin).
"Es kommt sicher nicht zu einer 7-Tage-Woche, doch verlängern die Angestellten aufgrund all dieser Flexibilität ihre Arbeitszeit praktisch unbemerkt. Obwohl sie theoretisch diese großartige Freiheit haben, nach ihrem Gutdünken Urlaubstage zu nehmen, macht ihnen die Realität oft einen Strich durch die Rechnung. IBM gleicht einer Gruppe von 'Workalcoholics', meinte eine frühere IBM-Angestellte, die im Verlauf ihrer 34jährigen Berufstätigkeit bei Big Blue nie in der Lage war, die ihren vollen Urlaubsanspruch einzulösen.
40% der IBM-Angestellten verfügen nicht über ein ihnen fest zugeordnetes Büro und arbeiten zu Hause, bei einem Kunden oder in einem der weltweit eingerichteten E-Mobility Center der Firma. "Das Unternehmen gibt mir sehr viel Flexibilität, doch hat dies Vor- und Nachteile. Die Terminpläne und Anforderungen der Leute sind so angelegt, dass wir Flexibilität bei der Arbeit unbedingt brauchen", erklärte Luis H. Rodriguez, Marketingdirektor der IBM-Softwaregruppe.
Fazit
Wir stellen fest, dass die lange Arbeitszeit Frauen in vielen Fällen daran hindert, Spitzenpositionen zu erreichen. Andererseits gibt es Firmen, die ihre Politik verändern, weil sie feststellen, dass sie nur dann hoch qualifizierte Frauen für ihren Betrieb gewinnen können, wenn sie diesen erlauben, neben dem Beruf auch ein normales Familienleben zu führen. Das heißt, dass sich die Unternehmen der Bedeutung der Gender Diversität innerhalb ihres Mitarbeiterstabs zunehmend bewusst werden. Hoffen wir, dass die Personalchefs sehr rasch erkennen, dass auch ältere Personen dem Unternehmen, für das sie tätig sind, einen besonders wertvollen Beitrag leisten können.
Im Bezug auf den mit extremen Jobs verbundenen Stress sollten die Unternehmen ferner versuchen, in der Frage Arbeitsorganisation und Arbeitsaufgaben neue Wege zu beschreiten, denn nicht nur Frauen lehnen es ab, ihr ganzes Leben der Arbeit zu widmen. Die Manager der neuen Generation scheinen weniger geneigt zu sein, ihr ganzes Leben im Büro zu verbringen. Die Zahl sprechen für sich: 19% der 'Extremjobber' in der Altersgruppe 45 bis 60 erklären, dass ihren Job in den nächsten zwei Jahren wahrscheinlich verlassen werden, und in der Altersgruppe 25 bis 34 sind es bereits 36%.
Wenn Extremarbeiter gefragt werden, ob sie dieses Arbeitstempo beibehalten wollen, ist die Antwort unmissverständlich: 80% der Frauen und 58% der Männer erklären, dass sie sich einer solchen Belastung nicht länger als ein Jahr aussetzen wollen. Dies müsste bestimmte HR-Manager aufhorchen lassen, nicht war?